Update: Kommt erneuter Schwung in das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Mercosur?
Im Januar 2023 reiste Bundeskanzler Olaf Scholz zu einer viertägigen Reise nach Südamerika mit Schwerpunkt auf den Mercosur-Staaten. Bereits seit 1999 verhandelt die EU mit Mercosur über die Errichtung der größten Freihandelszone der Welt, die mehr als 700 Millionen Menschen umfassen würde. Das Abkommen liegt jedoch bereits länger auf Eis. Während der Reise versicherte Scholz während einer Pressekonferenz mit Brasiliens neuem Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva das schnelle Fortsetzen der Verhandlungen. Scholz warb jedoch auch für deutsche Interessen. Neben Chile hat Argentinien mit die größten Lithiumvorkommen weltweit, die in Deutschland für die Elektromobilität benötigt werden. Auch Projekte der Energiekooperation und grünen Wasserstoffs wurden besprochen.Im Vergleich zur Europäischen Union (EU) weisen die Gesellschaften der Mercsosur-Staaten gegenwärtig eine günstige Altersstruktur auf. Laut Prognosen der UN DESA (Population Division) wird sich das Durchschnittsalter in den Mitgliedstaaten jedoch mittel- und langfristig stark erhöhen. Die prognostizierte "Vergreisung", insbesondere Brasiliens, wird primär durch die kontinuierlich sinkenden Fertilitätsraten beeinflusst.
Starke Unterschiede bei der Wirtschaftsleistung
Die vier Länder des Mercosur erwirtschafteten im Jahr 2021 zusammen ein Bruttoinlandsprodukt (BIP) von schätzungsweise rund 2,19 Billionen US-Dollar. Damit ist die Gruppe noch weit vom Spitzenjahr 2011 entfernt, in dem alleine Brasilien bereits ein BIP von rund 2,61 Billionen US-Dollar generierte. Dennoch hat sich die Bruttowirtschaftsleistung seit dem Beginn der Corona-Krise wieder verbessert. Vor allem Brasiliens BIP stürzte im Jahr 2020 auf rund 1,45 Milliarden US-Dollar.Wie heterogen die Gruppe hinsichtlich der wirtschaftlichen Verhältnisse ist, wird durch die recht hohen Unterschiede im BIP-pro-Kopf sichtbar: Während Uruguay 2021 mit rund 16.735 US-Dollar das höchste BIP-pro-Kopf aufweist, markiert Paraguay mit rund 5.279 US-Dollar das untere Ende der Skala. Ein großes wirtschaftliches Gefälle zwischen Mitgliedstaaten einer Wirtschaftsgemeinschaft ist jedoch nicht ungewöhnlich, wie im Vergleich der EU-Länder deutlich wird. Für das Jahr 2022 werden stabile, aber für Schwellenländer keineswegs allzu hohe Wachstumsraten des BIP prognostiziert: Die Wirtschaft Uruguays soll 2022 um rund 5,3 Prozent wachsen, Brasilien um circa 2,8 Prozent und Paraguay um rund 0,2 Prozent. Für Argentinien wird das größte Wachstum von vier Prozent (2022) prognostiziert.
Außenhandel: Importe und Exporte
Das Gesamthandelsvolumen des Mercosur im Warenhandel betrug im Jahr 2021 rund 598,9 Milliarden US-Dollar. Hiervon entfielen rund 338,8 Milliarden US-Dollar auf die Exporte des Mercosur und rund 260,1 Milliarden US-Dollar auf die Importe in den Mercosur-Raum. Nach dem Einbruch des Außenhandels in der Corona-Krise konnten sich Importe und Exporte 2021 erholen. Der Handelsbilanzüberschuss ist 2021 mit etwa 78,65 Milliarden US-Dollar der höchste seit Bestehen von Mercosur gewesen.Würde der Mercosur als ein gemeinsamer Staat betrachtet werden, würde das Exportvolumen ausreichen, um gerade in der Liste der 20 größten Exportnationen zu landen. Das Importvolumen im Güterhandel würde jedoch nicht ausreichen, um in der Rangliste der 20 größten Handelsnationen vertreten zu sein. Die Außenhandelsquote der Mercosur-Staaten ist im Vergleich zu anderen regionalen Wirtschaftsgemeinschaften gering.
Wie hat Mercosur den Außenhandel der Mitglieder beeinflusst?
China ist im Güterhandel der wichtigste Handelspartner der Gemeinschaft. Rund 26 Prozent aller Exporte und rund 24,9 Prozent aller Importe gingen oder kamen im Jahr 2021 in/aus dem Reich der Mitte.Über die Jahre seit der Gründung von Mercosur haben sich die Handelsströme sowohl im Import-, als auch im Exporthandel verschoben. Anfang der 1990er Jahre, als Mercosur gegründet wurde, war die USA der wichtigste Handelspartner im Güterhandel. Mehr als ein Fünftel des Außenhandels liefen in und aus den USA. Im Verlauf der Jahre hat allerdings die Bedeutung Chinas deutlich zugenommen. Der Handel innerhalb von Mercosur hat sich, trotz der Gründung der Wirtschaftsgemeinschaft, kaum verändert. Importe und Exporte sind stagniert. Mitte der 1990er gab es eine kurze Phase des Handelsbooms zwischen den Mitgliedsstaaten, dieser war aber nicht nachhaltig. Problematisch für Mercosur ist jedoch, dass der Handel mit China, aber auch mit der EU wenig diversifiziert ist. Rund 88 Prozent der Exporte nach China bestehen aus Landwirtschaft und mineralischen Stoffen. Die Importe aus China und der EU bestehen zum Großteil aus Industriegütern. Der Handel innerhalb von Mercosur ist balancierter.
Rohstoffe und Agrarexporte machen die Region attraktiv. Brasilien hat die weltweit größten Agrarflächen und hat das Potential den Großteil der Weltbevölkerung zu ernähren. Argentinien hat die weltweit drittgrößten Lithiumreserven, auch die Eisenproduktion in Brasilien ist im weltweiten Vergleich führend. Gerade die Lithiumförderung ist jedoch mit Umweltproblemen verbunden und stößt in Argentinien auf Widerstand der lokalen Bevölkerung.
Im Dienstleistungshandel stehen den Exporten des Mercosur im Wert von rund 47,4 Milliarden US-Dollar (2021), Importe von rund 68,3 Milliarden US-Dollar gegenüber. Dementsprechend fällt der Saldo im Dienstleistungshandel, wie auch in den Vorjahren, negativ aus und der Mercosur erzielte für 2021 eine passive Dienstleistungsbilanz (Saldo) von rund 20,9 Milliarden US-Dollar.
Politische Integration in Südamerika
Die Aufnahme in den Mercosur steht im Prinzip allen Staaten Lateinamerikas und der Karibik offen, insofern sie die Protokolle erfüllen. Venezuela ist gemäß Artikel 5 Absatz 2 des Protokolls von Ushuaia von allen Rechten und Pflichten ausgeschlossen, die mit dem Status als Vertragsstaat des Mercosur verbunden sind. Das Protokoll von Ushuaia legt fest, dass nur Demokratien Mitglied des Mercosur werden können. Venezuela wurde daher von den übrigen Mitgliedern aufgrund der latenten demokratischen Defizite seit 2017 dauerhaft suspendiert.Eines der Probleme von Mercosur war stets die Dominanz von Brasilien. Dadurch, dass Brasilien einen Großteil der Bruttowirtschaftsleistung der Region umfasst, ist es oft eher an protektionistischen Maßnahmen interessiert. Mit der neuen Regierung unter dem ehemaligen und neuen Präsidenten Lula, der Ende Oktober gewählt wurde, kam wieder Fahrt in weitere Integrationsmaßnahmen. Lula und Argentiniens Präsident Fernández einigten sich darauf, an der Einrichtung einer gemeinsamen Währung, des Sur, zu arbeiten. Durch die aktuelle Stärke des US-Dollars ist der Handel für Mercosur-Länder miteinander teuer geworden. Von einer gemeinsamen Währung versprechen sich Brasilien und Argentinien, den Handel zwischen den südamerikanischen Ländern wieder attraktiver zu machen.
Während Uruguay im Fragile States Index (FSI) 2022 auf Platz 157 von 178 Staaten gelistet ist, es also nur 20 Staaten gibt, die als noch stabiler eingestuft werden, belegt Venezuela den 26. Platz im FSI 2022. Weltweit werden nur 25 Staaten als noch fragiler eingeschätzt und in Amerika hat nur der failed state Haiti eine noch schlechtere Bewertung als Venezuela.
Noch deutlicher wird die Bewertung Venezuelas im Bertelsmann Transformationsindex (BTI) 2022. Die Bewertung von 3,08 von 10 Punkten im Index für Demokratie (harte Autokratie), 2,21 Punkte im Index für Marktwirtschaft (schlecht funktionierende Marktwirtschaft) und 1,44 Punkte im Index für Politisches Management (gescheitert) resultieren im BTI 2022 in einem Status-Indexwert von 2,65 Punkten für Venezuela und somit zum niedrigsten Wert aller lateinamerikanischen Staaten.